Leider stimmt diese Regel in Reinform nur für einen Ausnahmetyp von Ampeln: solchen, die irgendwo auf freier Strecke abwechselnd den quer Gehenden und längs Fahrenden Vorrang geben. Die meisten der etwa 68.000 Ampelanlagen in Deutschland stehen aber an Kreuzungen und Einmündungen – und hier gilt manchmal das Gegenteil: bei Grün warten und auf Konflikte achten, bei Rot rennen oder losfahren. Ausgerechnet die scheinbar einfachen Ampeln sind oft verwirrend und unsicher. Oft sind sie beim Gehen mehr Mobilitätshemmnis als Mobilitätshilfe.
Oft schlecht geschaltet und unsicher
Welches Einzellicht an der Kreuzung wann wie zu leuchtet hat, regeln die „Richtlinien für Lichtsignalanlagen“, RiLSA abgekürzt. Sie werden von der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen erarbeitet. An den RiLSA und an der Schaltpraxis auf der Straße haben wir viel Kritik – hier die wichtigsten Punkte.
- Ampeln erzwingen oft Umwege, wenn nicht alle paar Meter eine steht.
- Ampeln wurden erfunden, damit relativ große und schnelle Fahrzeuge schadlos umeinander herum und aneinander vorbei kommen. Gehende brauchen sie untereinander nicht, sollen sich aber dem am Fahrverkehr orientierten System unterordnen.
- Ampeln sollen meist vor allem die maximale Zahl von Fahrzeugen bewältigen. Gehende sind aus dieser Sicht lästige Anhängsel, denen man nur unwillig das Nötigste an Gehzeit und Sicherheit gewährt – und oft nicht einmal das.
- Die Wartezeit auf Grün beträgt oft bis zu 90 Sekunden, an Straßen mit (grundsätzlich begrüßenswertem) Vorrang für Straßenbahnen und Busse noch mehr.
- Oft muss man an Straßenecken und auf Mittelinseln mehrfach warten. Das kann auf großen Kreuzungen für 100 Meter Strecke bis zu fünf Minuten kosten. „Grüne Wellen“ zum Gehen gibt es kaum.
- Die Zeit zum Überqueren einer Fahrbahn ist oft zu kurz angesetzt. Sie besteht aus der Zeit mit Fußgängergrün und der anschließenden „Räumzeit“, in der man bei Rot weitergehen soll. Die RiLSA nehmen unrealistisch an, dass beim Schalten auf Grün sofort alle Gehenden über den Bordstein treten und dann mit einem Gehtempo von 1 bis 1,2 Meter pro Sekunde unterwegs sind. Allein die Startzeit vor dem Bordstein kann jedoch z.B. bei Kindergruppen zehn Sekunden dauern, und ältere Menschen haben oft ein Gehtempo von deutlich unter 0,5 Meter pro Sekunde. Vor allem ältere Menschen, Eltern mit kleinen Kindern, Menschen mit Verletzungen oder Behinderungen sind darum oft noch auf der Fahrbahn, wenn die Fahrzeuge schon wieder Grün bekommen.
- Während Menschen über die Ampel gehen, bekommen Fahrende, die hier einbiegen, ebenfalls Grün und wollen die Fußgängerfurt queren. Die RiLSA-Autoren nennen das eine „bedingt verträgliche“ Ampelschaltung. Sie verursacht aber immer wieder schwere Unfälle mit Toten und Verletzten – im Jahr 2022 mindestens 1.400. Diese Schaltung ist nicht verträglich, sondern konfliktträchtig.
- Die scheinbare Einfachheit der Ampeln verführt dazu, sich nur nach den Lichtern zu richten und nicht nach dem Geschehen auf der Straße. Dieses verlangt aber oft ein ganz anderes Verhalten – siehe den nächsten Punkt.
- Die Signale sind oft widersprüchlich. Bei Fußgänger-Grün können oft Fahrzeuge einbiegen. Bei Fußgänger-Rot muss stehenbleiben, wer am Bordstein ist. Wer auf der Fahrbahn ist, muss dagegen bei Rot weitergehen. Auch für Fahrende gibt es viele verwirrende Situationen. Extremfall: Sie haben selbst Grün, biegen ab und sehen Gehende , die in der Räumzeit bei Rot gehen. Dann lautet die Regel: Wer Rot hat, hat Vortritt. Wer Grün hat, muss warten.