Gehwegparken ist in der Regel verboten und gehört geahndet. Viele Städte dulden es trotzdem mit dem Verweis auf "Parkdruck". Die renommierte Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht stellt jetzt fest: Systematisches Weggucken ist illegal.
Wo Parken erlaubt ist, regelt die Straßenverkehrsordnung ganz klar: „Zum Parken ist der rechte Seitenstreifen, dazu gehören auch entlang der Fahrbahn angelegte Parkstreifen, zu benutzen, wenn er dazu ausreichend befestigt ist, sonst ist an den rechten Fahrbahnrand heranzufahren.“ So steht es in Paragraf 12 Absatz 4 der StVO – und im Bußgeldkatalog steht, wieviel Geld bei Verstößen fällig ist. Unterm Stichwort „Vorschriftswidrig Gehweg … benutzt“ beginnt der Regelsatz bei 55 Euro. Zuständig fürs Ahnden sind die Ordnungsämter der Kommunen.
Viele Städte aber kümmert das nicht. Sie weisen ihre Ordnungsämter an, illegales Gehwegparken nicht zu verfolgen, wenn noch ein Rest zum Gehen bleibt. Diesen setzen sie willkürlich fest – mal mit 1,5 Meter, mal mit 1,2 Meter, Münster sogar nur mit genau einem Meter. Dürfen die Städte das? Diese Frage hat jetzt der Kölner Jurist Jonas Höltig in der „Neuen Zeitschrift für Verkehrsrecht“ gestellt und klar beantwortet: „Kommunale Dienstanweisungen, die das Gehwegparken grundsätzlich dulden, sofern bestimmte Restgehwegbreiten verbleiben, sind rechtswidrig.“
Höltig weist darauf hin, "dass der Verordnungsgeber jedenfalls das vorsätzliche, länger dauernde oder behindernde Gehwegparken seit November 2021 mit verhältnismäßig hohen Sanktionen belegt und so dessen soziale Unerwünschtheit deutlich kenntlich macht. Dass die Städte es trotzdem nicht ahnden, ist laut Höltig eine „Umkehrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses“: Gehwegparken wird – sofern bestimmte Restwegbreiten verbleiben – in den jeweiligen Kommunen nur im Ausnahmefall sanktioniert.
Es in der Regel nicht zu tun und mit einer kommunalen Dienstanweisung Bundesrecht auszuhebeln, sei „mit dem Verfassungsprinzip des Gesetzesvorrangs unvereinbar“. Solche Dienstanweisungen „widersprechen damit auch dem Willen der verordnungsgebenden Gewalt, die das Gehwegparken ganz bewusst ohne Ausnahmeregelungen für bestimmte Restgehwegbreiten untersagte“.
Die große Ausrede der Städte heißt „Opportunitätsprinzip“. Es bedeutet, dass die Ordnungsämter nicht jeden Verstoß ahnden müssen, von dem sie erfahren. Vielmehr haben sie einen Ermessensspielraum – zum Beispiel darüber, welchen von zwei Verstößen sie verfolgen, wenn wegen Personalmangels nur einer verfolgt werden kann. Das interpretieren Städte als ihr Recht, wilkürlich definierte Formen des Falschparkens gar nicht mehr zu verfolgen.
Höltig zitiert jedoch ein Urteil des Bundesgerichtshofs: Das Ermessen dürfe nicht von sachfremden Erwägungen, z.B. „Gesichtspunkte parteipolitischer, persönlicher oder außerdienstlicher Art“, bestimmt werden (BGH-Urteil vom 3.12.1998 – 1 StR 240/98). Kommunales Einknicken vor dem sogenannten Parkdruck ist eine solche „sachfremde Erwägung“. Er schreibt weiter: „Pflichtwidrig ist die Ermessensausübung insbesondere dann, wenn sie in anderen Gesetzen verbürgte Rechte verletzt.“ Das sei hier massiv der Fall – ganz besonders bei den Rechten behinderte Menschen, die in der UN-Behindertenrechtskonvention, dem Grundgesetz und den Behindertengleichstellungsgesetzen der Länder fixiert sind. Sie brauchen bestimmte Mindestbreiten; maßgeblich seien hier die Richtlinie RASt 2006 und die Hinweise für barrierefreie Verkehrsanlagen H BVA 2011. Das absolute Breitenminimum für einen Gehweg liege danach bei 1,50 Metern, so dass laut Höltig „die Duldung von Restgehwegbreiten unter 1,20 bis 1,30 Metern ohne jede Ausnahme den Teilhabeanspruch behinderter Menschen verletzt“.
„Staatliche Handlungen, die die Benutzbarkeit des Gehwegs über diese Maße hinaus beschränken, sind rechtswidrig“ - also auch entsprechende Dienstanweisungen der Ordnungsämter. Es bestehe beim Gehwegparken „ein erhebliches öffentliches Interesse an der Verfolgung.“ Seine Folgerung: „Verstöße gegen das Verbot des Geh- oder Radwegparkens sind grundsätzlich zu sanktionieren. Das gilt insbesondere, wenn das Parken vorsätzlich oder für einen längeren Zeitraum erfolgt.“ Aber selbst wenn Falschparker mehr Platz lassen, bleiben sie Falschparker, wenn ihr Auto auch nur mit einem Reifen auf dem Gehweg steht. Höltig weist darauf hin, „dass auch nicht behinderndes Gehwegparken grundsätzlich zu sanktionieren ist“.
Und wenn Behörden störrisch bleiben? Obwohl sie Falschparker verfolgen müssen, können Bürger dies nicht per Gerichtsurteil erzwingen. „Dies ist vielfach unbefriedigend“ kommentiert Höltig. „In Betracht kommt somit als außergerichtliches Verfahren die Beschwerde bei der kommunalen Aufsichtsbehörde des jeweiligen Bundeslandes.“ Darüber hinaus könnten es Behindertenverbände per Verbandsklagerecht versuchen.
FUSS e.V. begrüßt Höltigs Analyse und fordert widerstrebende Städte auf, sich aufs Recht zu besinnen. „Parkdruck“ ist keine Entschuldigung dafür, massenhaft und dauerhaft Rechtsverstöße zu dulden.
Hier gibt es die Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht. Jonas Höltigs Beitrag "Vollzugsdefizite beim illegalen Gehwegparken" steht in Ausgabe 5/2022 auf Seite 220 ff
Hier unsere 50-Seiten-Broschüre zum Thema Gehwegparken mit weiteren Quellen zum Thema