“Straßenverkehrsordnung gilt bei uns nicht”
Eine Politesse will illegales Gehwegparken ahnden, doch ihre Chefs verbieten ihr das – angeblich auf “Weisung von ganz oben”. Mit kleinen Tricks versucht sie, trotzdem in ihrer Stadt das Recht zur Geltung zu bringen.
Eigentlich wollte Dorothea Parker 1 die Verkehrsverhältnisse in Achsenstätt 1 verbessern, als sie sich beim Ordnungsamt als Politesse bewarb. Als junger Mutter fiel ihr immer wieder auf, wie schwierig und oft gefährlich das Gehen auf und neben illegal zugeparkten Gehwegen war. „Ich dachte: Schreib sie auf, dann kommen die da runter.“
Aber kaum hatte sie ihre Ausbildung begonnen und ging zum ersten Mal mit einem erfahrenen Kollegen durch die Straßen, erlitt sie einen „Mega-Schock“. „Gehwege schreiben wir nicht“, belehrte sie der Routinier. Und auf ihre erstaunte Rückfrage: „So ist das hier“.
So ist es in vielen deutschen Städten. Gehwegparken wird nicht oder nur in Extremfällen verfolgt, trotz klarer Nicht-Erlaubnis in der Straßenverkehrsordnung: „Zum Parken ist der rechte Seitenstreifen, dazu gehören auch entlang der Fahrbahn angelegte Parkstreifen, zu benutzen, wenn er dazu ausreichend befestigt ist, sonst ist an den rechten Fahrbahnrand heranzufahren“, sagt deren Paragraf 12 Absatz 4. Aber viele Bürgermeister und sogenannte Ordnungsdezernenten behandeln „Parkdruck“ als übergesetzlichen Notstand. Dazu der Präsident des Oberverwaltungsgerichts Bremen, Peter Sperlich; „Das Bundesrecht ist eindeutig, aber in der gesamten Republik wird es einfach ignoriert und nicht vollzogen.“
Auch in Achsenstätt nicht. Parker ging zu ihrem Chef, fragte nach den Dienstregel und erfuhr: Das ist eine mündliche Anweisung. „Wir dürfen das nur, wenn alle vier Räder auf einem schmalen Gehweg stehen oder wenn man an der Hauswand entlang schrammen muss und eine Oma mit Rollator gegen die Reifen donnert.“
Parker wies auf die Bauordnung ihres Bundeslandes hin, nach der zum Beispiel Rollstuhltauglichkeit bei 1,10 Metern freier Breite beginnt. Aber das gilt für Gebäude, nicht für zugeparkte Straßen ihrer Stadt. Dort gilt theoretisch die Verwaltungsvorschrift zur StVO. Nach ihr darf auf einem
Gehweg das Parken nur erlaubt werden, wenn der „unbehinderte
Begegnungsverkehr“ zu Fuß weiter möglich ist. Dafür wiederum halten technische Normen eine Mindestbreite von 2,5 Metern für nötig. Weil das auf vielen Wegen kein legales Parken zulässt, versuchen es viele Städte mit Weggucken bei massenhafter Illegalität.
So auch Achsenstätt. Parker weiter: „Mein Chef sagte: Ich weiß, dass das Parken nicht der Straßenverkehrsordnung entspricht. Aber das ist hier eben so.“ Er begründet das mit einer „politischen Vorgabe“ – verrät aber vorsichtshalber nicht, wer ihm den Rechtsbruch befohlen hat. Er und seine politischen Vorgeber berufen sich auf das „Opportunitätsprinzip“. Danach haben Ordnungskräfte die Wahl, bei mehreren Verstößen einen zu verfolgen und den anderen zu lassen. Parker schlug ihm vor: „Danach richte ich mich. Wenn ich einen gravierenden Verstoß sehe als Gehweg-Parken, dann gehe ich den an. Und sonst den Falschparker.“ Darauf habe der Chef geantwortet: „Nein, du hast eine Weisung von mir, das nicht aufzuschreiben.“
Auch solche pauschalen Weisungen sind rechtswidrig. Das findet zumindest der fachlich führenden „Karlsruher Kommentar“ zum Ordnungswidrigkeiten-Gesetz: „Auch im Ordnungswidrigkeitenrecht gilt trotz des Opportunitätsprinzips der Grundsatz, dass gesetzwidrige Taten im Regelfall zu verfolgen sind. Daher bedarf nicht das Eingreifen des Amtsträgers einer Begründung, sondern die Nicht-Ahndung bedarf als Ausnahme eines zusätzlichen Kriteriums, welches zu begründen ist.“
Dorothea Parker schrieb unverdrossen einige Falschparker auf. Das musste sie einzeln begründen und sagte dann wahrheitsgemäß: „Ich hatte Bürgergespräche; es haben sich Leute über ihre Behinderung beklagt.“ Darauf ging der Fall der Rebellin eine Hierarchiestufe höher zur Amtsleitung. Von der Spitze ihres Hauses habe sie dann wortwörtlich gehört: „Die Straßenverkehrsordnung gilt in Achsenstätt nicht.“ Die Begründung: „Die Politiker in Berlin haben doch keine Ahnung, wie es vor Ort ist.“ (Hinweis: Das kam hier mal nicht von der AfD, auch wenn es so klingt).
Parkers Anzeigen fruchteten nicht viel: „Die im Innendienst stellen dann alles pauschal ein, natürlich auch auf Weisung.“ Sie versucht jetzt eine List: „Auf lange Sicht versuchen ich in den Innendienst zu kommen und stelle es dann nicht ein.“ Allerdings schreiben ihre Kollegen ja keine Gehwegparker. Sie halten sich an die mündliche Weisung.
Eine andere List praktiziert sie schon jetzt: „Ich stelle meine Anzeigen nicht als Behördenmitarbeiterin, sondern als Privatperson.“ Die werden im eigenwilligen Achsenstätt meist verfolgt, wenn sie korrekt und vollständig sind und man keine rechtliche Möglichkeit zum Einstellen sieht. Anders als die der geschulten, beauftragten Stadtkräfte. Die Verfechterin des Rechts will jedenfalls nicht aufgeben: „Ich nutze alle legalen Mittel.“
1 Namen dem Autor bekannt
11.08.25