„Es gibt auch eine pathologische Seite der Fortbewegung“, mahnt der Pariser Geh-Philosoph Pascal Bruckner. Manche gehen nicht, weil sie an ein Ziel oder mit dem Gehen etwas bewirken wollen. Sondern weil sie desorientiert oder innerlich getrieben sind. Bruckner erwähnt „Alzheimerkranke, die aus dem Pflegeheim entlaufen sind und wie tote Seelen durch die Städte geistern, bis die Polizei sie wieder einfängt“. Und er nennt „Penner, Obdachlose, Menschen, die unter Dromomanie leiden (zwanghaftem Weglaufen), ihre Klamotten in einem Einkaufwagen vor sich herschieben, ohne jemals anzuhalten“. Bruckner spricht an dieser Stelle nur vom inneren Zwang. Größer dürfte oft der soziale sein, der sie zwangsbewegt – weil sie von anderen irgendwo weggetrieben wurden und mühsam einen Ort mit Halt suchen.
Für diese Leute – früher auch „Stadtstreicher“ genannt – sind gute Gehwege noch bedeutender als für alle anderen. Sie verbringen den Großteil ihres Lebens hier. Nur auf dem Bürgersteig sind sie Bürger mit leidlich gleichen Rechten. Und ihr Elend ist hier öffentlich. Es geht, steht und hockt uns allen im Blick, in der Nase und manchmal im Weg. Wir meinen: So lange es solches Elend gibt, sollte es auch öffentlich sichtbar sein. Aber um eine Winzigkeit abgemildert mit Waschcontainern am „Brennpunkt“ sowie breiten Gehwegen, die den einen das Hocken und zugleich den anderen das Gehen erlauben.
Pascal Bruckner sieht noch bei einer dritten Geher-Gruppe psychische Not. Vor dem Zitat sei erwähnt: Er hat das im Alter von 69 geschrieben – einerseits mit erkennbarer ästhetischer Abneigung, andererseits in generativer Nähe zu „Senioren, die hastig alle Schritte nachholen, die sie ich ihrem Leben versäumt haben, eine Alpinistenmontur anlegen, um die Alleen und Parks unserer Städte mit Nordic-Walking-Stöcken und Rucksäcken zu erstürmen. In unseren Straßen wimmelt es von diesen kostümierten Asphalt-Abenteurern mit grauen oder weißen Haaren, die begierig sind, das Leben beim Schopf zu packen, ein letztes Mal vor dem Abgrund. Gehen ist nicht nur die Wiederentdeckung des Körpers, es ist auch der Fluch derer, die nicht sterben können.“ Wir zitieren das als eine nicht ganz seltene Sichtweise, mögen aber nicht folgen. Sondern wir sind froh über alle Alten, die gehen, statt dem Tod entgegenzusitzen oder entgegenzurollen.