Rezension aus der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, Ausgabe 81/2014
Ausgangslage
In vielen Gemeinden und Kreisen sind die Finanzmittel für den Neu- und den Ausbau der Verkehrsinfrastrukturen erschöpft oder eng begrenzt. Der Handlungsbedarf bei der Optimierung der Verkehrswege und Aufenthaltsräume für Zufußgehende ist aber weiterhin groß, zumal ein Rückgang der Motorisierung junger Erwachsener und ein Anstieg der Zahl älterer Verkehrsteilnehmer festzustellen ist. Kostengünstig umsetzbare Maßnahmen können hier einen Beitrag leisten.
Paragraph 45 StVO bietet z. B. die Möglichkeit eines temporären Tests von Maßnahmen im Rahmen von Verkehrsversuchen. Neue Formen der Markierung und Abgrenzung erlauben eine kostengünstige Aufteilung von Verkehrsflächen. Und es liegen umfangreiche Erfahrungen mit guten Lösungen in Deutschland und innovativen Ansätzen aus dem Ausland vor (so z. B. zum Shared Space und zu Begegnungszonen). Dies hat die ivm GmbH (Integriertes Verkehrs- und Mobilitätsmanagement Region Frankfurt RheinMain) veranlasst, zusammen mit dem Planungsbüro R+T einen Leitfaden herauszugeben, in dem beispielhafte Lösungsmöglichkeiten für die Optimierung des Fuß- und Radverkehrs in folgenden Handlungsfelder dargestellt werden: sicheres Queren, Aufteilung von Flächen, Geschwindigkeitssenkung, Aufwertung von Verkehrs- und Aufenthaltsräumen, barrierefreie Gestaltung, versuchsweise temporäre Maßnahmen sowie Öffentlichkeitsarbeit bei kleinem Budget.
Der Leitfaden legt einen Augenmerk auf die Effizienz dieser Maßnahmen. Die Wirkungen in Bezug auf spezifische Wirkungskriterien (z. B. objektive und subjektive Verkehrssicherheit, Aufenthaltsqualität, Barrierefreiheit) werden dabei dem baulichen und administrativen Aufwand gegenüber gestellt. Mit einer Reihe von guten Beispielen wird gezeigt, wie die angestrebten Ziele einer Planung zu Gunsten von Zufußgehenden mit vergleichsweise wenig Aufwand erreicht werden können.
Inhalt
Rund drei Viertel des Leitfadens nehmen Empfehlungen zu Gestaltungsmöglichkeiten in Bezug auf die oben erwähnten Handlungsfelder ein. Rund ein Viertel entfällt auf 19 Best-Practice-Beispiele, die in Form von „Steckbriefen“ mit folgenden Angaben dokumentiert werden: verkehrliche Situation (z. B. Stärke des Fußverkehrs), Art der umgesetzten Maßnahmen, Rechtsrahmen, Realisierungszeitraum, weitere unterstützende oder begleitende Maßnahmen, Kosten sowie Wirkungen in Bezug auf sechs Wirkungskriterien.
Zum Hervorheben des Querungsbedarfs werden unter anderem die folgenden kostengünstigen Maßnahmen vorgestellt: das Markieren eines überbreiten Fußgängerüberwegs (Beispiel aus Offenburg), das Anbringen von farbigem Asphalt im Querungsbereich (Hanau), ein 12 Meter langer, rot eingefärbter Querungsbereich mit barrierefreier Ausstattung sowie ergänzender Mittelinsel (Kelkheim), schnell realisierbare Mittelinsel-Elemente aus Recycling-Material (Darmstadt), Mittelstreifen in Verbindung mit verschmälerten Kfz-Fahrstreifen. Letztere können als aufgepflasterter, drei Meter breiter Bereich (Hanau) oder, wie in der Schweiz, nur mit Markierungen als „Mehrzweckstreifen“ erstellt werden.
Unter den Maßnahmen zum Freihalten von Flächen für Zufußgehende wird das „Freiburger Modell“ einer kostengünstigen Einrichtung von verkehrsberuhigten Bereichen mit Hilfe von Parkplatzmarkierungen, Piktogrammen und versetzten Parkflächen vorgestellt. Vorschläge zu einer „BeSpielbaren Stadt“ und einer „BeSitzbaren Stadt“ (Griesheim) sowie das Beispiel der „Sitzrouten“ in Frankfurt verdeutlichen gut, wie mit einer durchdachten Möblierung Aufenthalts- und Sitzmöglichkeiten entlang von wichtigen Wegeachsen geschaffen werden können.
Ein eigenes Kapitel widmet sich der barrierefreien Gestaltung. Bei den temporären Maßnahmen im Rahmen von Verkehrsversuchen werden provisorische Mini-Kreisel und Mittelinseln, provisorische Wegführungen, der Test einer Senkung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit sowie zeitlich begrenzte Umnutzungen von Straßen (Strand „Paris plage“) vorgestellt. Empfohlen wird, vorab Kriterien für den Erfolg oder Misserfolg einer solchen temporären Maßnahme festzulegen.
Bewertung
Der Leitfaden behandelt auf systematische Weise die Gestaltungsmöglichkeiten in den für den Fußverkehr relevanten Handlungsfeldern. Die Argumentation ist gut nachvollziehbar und es wird eine Reihe von neuen Ansätzen der Planung präsentiert (z. B. temporäre Umgestaltungen, der zweckmäßige Einsatz von Markierungen zur Sicherung von Flächen für Zufußgehende, das Konzept von „Sitzrouten“ und von „Spielrouten“). Ansprechend und überzeugend sind die „Steckbriefe“ von 19 Best-Practice-Lösungen, die Mehrheit davon mit Bezug auf den Fußverkehr. Die Wirkungen dieser Maßnahmen werden qualitativ in drei Stufen bewertet. Dabei ist allerdings nicht klar, ob es sich um Ad hoc-Bewertungen der Autoren oder um Bewertungen auf Basis von durchgeführten Wirkungsanalysen handelt.
Für grobe Kostenabschätzungen ist die Angabe der Baukosten für eine größere Anzahl von Gestaltungen und Infrastrukturen sehr hilfreich. Die vorgestellten Vorhaben beziehen sich mehrheitlich auf Einzelobjekte, die zudem in kurzer Frist umsetzbar sein sollen; ein Realisierungszeitraum von maximal einem halben Jahr wird bereits als „mittelfristig“ angesehen. Flächenhaft wirksame Maßnahmen der Verkehrsplanung werden kaum thematisiert. Am ehesten geht das „Freiburger Modell“ zur Einrichtung von verkehrsberuhigten Bereichen ohne aufwändigen Gesamtumbau in diese Richtung.
Titel:
Förderung des Rad- und Fussverkehrs. Kosteneffiziente Maßnahmen im öffentlichen Strassenraum. Handbuch für die kommunale Praxis. Schriftenreihe des ivm, Nr. 3. Frankfurt a. M. 2014, 114 Seiten
Autoren:
Matthias Franz, Dominik Könighaus, Sascha Müller, unter Mitwirkung von Martin Zahn, Elisabeth Mainx, Tina Clemenz
Bezug:
Ivm GmbH, Lyoner Straße 22, 60528 Frankfurt a. M., 5 € Schutzgebühr oder gratis download: www.ivm-rheinmain.de
Impressum:
Erstveröffentlichung in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, Dezember 2014. Der Kritische Literaturdienst Fußverkehr Krit.Lit.Fuss erscheint seit 1992 als Beilage des InformationsDienstes Verkehr IDV und nach der Namensumbenennung ab dem Jahr 2002 vierteljährlich in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung.
Autor dieser Ausgabe: Helmut Schad.
Herausgeber: FUSS e.V. Fachverband Fußverkehr Deutschland, Exerzierstraße 20, 13357 Berlin, Tel. 030/492 74 73, Fax 030/492 79 72, eMail:
Möchten Sie, dass eine aktuelle Fachliteratur mit einem deutlichen Fußverkehrs-Bezug im Kritischen Literaturdienst Fußverkehr besprochen wird, nehmen Sie bitte mit FUSS e.V. Kontakt auf.